Identitaet

Leider konnte unsere Ausstellung „Identität“ nicht wie geplant am Montag, den 27. April 2020 eröffnet werden. Angedacht war, sie im Laufe des Jahres nachzuholen (nach einer Aufhebung der Ausgangsbeschränkungen).

Aber erst im Januar 2021 konnte ein Teil der Ausstellung realisiert werden. Diese hing bis Ostern 2021. Teile davon sind unter „Galerie“ -> „Ausstellung Identität“ auf unserer Webseite zu sehen.

Auch wenn wir uns alle sehr subjektiv und individuell dem Thema Identität angenähert haben, teilen wir die Gemeinsamkeit dieser Stadt, die uns verbindet. Unser München.

Hier unsere Diashow, sie sollte parallel zu unserer Ausstellung gezeigt werden.

Diashow München

(Laden dauert etwa 20 sec)

 

 

Aber wir sind noch da!

Seit längerer Zeit haben wir uns wieder getroffen. Draußen, ohne Mundschutz, aber mit Abstand.

 

Der Frühling hat sich von Corona nicht beeinflussen lassen in seiner Schönheit.

Beatrice.

 

Mein Leben, Corona und die Eisschollen

Wir hatten ja unser Gruppentreffen im alten nördlichen Friedhof. Am Ende stand die Frage, ob jemand einen Artikel über unser Gespräch schreiben will. Ich meinte dazu, dass sich die Themen unseres Gespräches verhalten wie Eisschollen, es sind einzelne Blöcke, die einerseits für sich singulär stehen, sich andererseits aber auch berühren, zusammenhängen. Das war der Ursprung meines Eisschollenmotives.

Ich kann mich nicht mehr gut erinnern, aber ich hatte den Eindruck, dass Rita das Eisschollenmotiv weitergeführt hat. Und auch in meinem Kopf hat sich das Eisschollenmotiv weitergeführt. In Coronazeiten: Wir leben auf und mit Eisschollen, wir bewegen uns auf und mit Eisschollen. Manches ist brüchig geworden. Sicherheit, Stabilität, Routine und Gewohntes verflüchtigen sich. Ich möchte ein bisschen zurück blicken ins Frühjahr 2020 und hinaus blicken in meinen Freundeskreis.

05. März 2020. Bei Aldi ist noch alles da. Ich kaufe Wasser auf Vorrat, ich weiß nicht genau warum. Wir treffen uns mit unserer Ausstellungsgruppe. Ich deute an, dass wegen Corona die Ausstellung verschoben werden könnte. Alle anderen glauben das nicht. 14. März 2020. Das Kühlregal bei Aldi ist komplett leer geräumt. Panik auf allen TV-Kanälen. Zwei Tage später beginnt die Zwangspause meiner Arbeit. Was ich noch nicht weiß: die Pause wird acht Wochen dauern. In diesen Tagen entsteht mein Coronaschlüsselsatz: „Wenn die Hand, die ich halte, auch mich selber hält“. Das bezieht sich vor allem auf meine Telefonkontakte. Die großen Sorgen teilen wir, die kleinen Sorgen können wir teilen. Ich lese viel „Die Zeit“, aber dabei ungern Corona-Artikel.

02. April 2020. Kontaktbeschränkungen. Was tut mir gut? Ich mache mir selber eine feste Tagesstruktur. Gymnastik. Duschen. Frühstück. Ein Telefonat. Eine Stunde rausgehen, Nordic Walking. Telefonat 2. Kochen und Abendessen. Max. eine Stunde TV. Wie lange warten? Auf was? Wie geht es weiter? Wann? Heute spüre ich die Lust an der Freiheit, die irgendwann beginnt, wieder. Eisschollen: Man kann nicht alles kontrollieren, im Griff haben, man muss auch Dinge auf sich zukommen lassen.

Es kommen grundsätzliche Gedanken. Die Begrenztheit des Lebens hilft einem beim Leben. Wenn das Leben unendlich wäre, oder man so tut als ob, wäre alles beliebig, müsste man nichts tun, nicht beizeiten. Die Verkürzung der Lebenserwartung, ohne Auferstehung, ohne Leben bei Gott, ohne Ewigkeit, ist der Fluch der Moderne. Manche können mit der Begrenztheit, Sterben, Tod nicht umgehen. Wer gelebt hat, kann leichter sterben. Was zählt ist Lebensqualität.

22. April 2020. Ich hänge durch, es ist dunkel. Meine Mutter merkt das am Telefon. Wir treffen uns ein paar Tage später, draußen, 1zu1 Kontakte sind erlaubt. 02. Mai 2020. Es zeichnet sich ab, dass die Grundschulen teilweise geöffnet werden. Das ist die Perspektive, die mir so gefehlt hat. 11. Mai 2020: Ich arbeite wieder. Meinem Kopf fehlt Arbeit, ich beginne französische Vokabeln zu pauken, 2400 Stück. 05. Juni 2020: Ich putze alle meine Fenster, ich habe Lust und Energie. Mir geht es deutlich besser als Mitte April. Das liegt sowohl an der Arbeit als auch an den persönlichen Kontakten, die wieder erlaubt sind. Alles wahre Leben ist Begegnung (M. Buber). Und die Freibäder machen wieder auf! Was für ein Genuss.

12. Juni 2020. Es ist wieder Gruppensport erlaubt. Wir machen das mit Abstand und im Freien. Ich spüre das Gras und atme die Luft. 23. Juni 2020. Wir treffen uns mit der Ausstellungsgruppe im alten nördlichen Friedhof. Ich empfinde das als Luxus und Privileg. Wie sehr hat mir das doch im April gefehlt. Mein Blutdruckmedikament ist zur Zeit nicht lieferbar. Das hängt evtl. mit China und Indien zusammen.

Ich versuche Resümee zu ziehen, wie Familie und Freunde mit den Kontaktbeschränkungen zurecht kamen. Eine Freundin hat extrem gelitten, ich belasse es bei dieser Andeutung. Ich bin mit einer Familie befreundet, mit einem Mann meines Alters, der stark körperbehindert ist. Die hatten extreme Angst vor dem Virus, das ja auch tödlich sein kann. Positiv: sie bekamen vor Ort viel Unterstützung. Ich komme ins Gespräch mit einer Frau in meiner Wohnanlage: Die zweijährige Enkelin hat extrem gelitten, keine Kita, keine Freunde, immer zu Hause. Meine Mutter, 77, kam eher gut klar, mied aber Kontakte. Mein Cousin, 55, und seine Frau hatten den Coronavirus, eine Woche mit mildem Verlauf. Manche meinen, dass sie niemanden kennen, der COVID19 hatte.

Und ich selbst? Hätten die Kontaktbeschränkungen länger gedauert, wäre ich nicht so glimpflich davon gekommen. Ich denke, der Gesetzgeber hatte mit den Lockerungen auch mich im Blick. Und ich habe gelernt, wie enorm wichtig

für mich alltägliche, direkte Begegnungen mit Menschen sind. Wie sehr ich das brauche! Oder auch Teil einer Gruppe zu sein, beim Vollwaerts.de-Projekt. Das Telefon hilft nur ein Stück weit. Die Tagesstruktur, die ich oben am 02. April 2020 geschildert habe, werde ich fortführen. Und auch die vielen Telefonkontakte.

Vielleicht ist es eine Chance für dieses Land, sich zu bewähren und zu wachsen. Das gilt nicht nur für mich und Jens Spahn. Ich nehme mir vor, den Leuten, die wenig verdienen, auch mal zu danken und ein Trinkgeld zu geben. Aldi, Friseur, Buchladen.

Martin Lachner.